24. Dezember

Ein besonderer Abend

 

Jakob, der Esel schaute verdrießlich seinen Freund, den Ochsen Toni an. Es war weiterhin sehr kalt und daher war es klar, dass sie beide weiter in diesem Stall bleiben mussten. Wie schön wäre es, wenn die Stalltür geöffnet würde und Toni und er diese Holzhütte verlassen könnten. Hier war es eng und meistens eher dunkel. Angenehm roch es hier auch nicht und Toni mit seiner Leibesfülle schränkte ihn in seiner Bewegungsfreiheit ziemlich ein. Toni schaute ihn mit seinen großen Augen an und sagte zu ihm mit seiner dröhnenden Stimme: „Sehnst du dich auch nach Sonne, Luft und Freiraum?“ Jakob erwiderte seinen Blick und antwortete: „Und wie sehne ich mich danach! Würde doch diese ärgerliche Stalltür endlich geöffnet werden.“ Dabei trat er mit einem seiner Hufe kräftig gegen die besagte verschlossene Tür. Es öffnete sich nicht!

Es war schon spät am Tag, fast schon Abend, als die beiden menschliche Worte hörten. die näher kamen. Einer der Sprecher war eindeutig ihr Halter Ruben. Außerdem konnte Jakob noch eine Frauen- und eine Männerstimme identifizieren. Mit einem Ruck öffnete sich die Stalltür und der etwas dickliche Ruben erschien im Dämmerlicht des Spätnachmittags, das durch den nun offenen Eingang zu ihrer Unterkunft schwach hineinleuchtete. Hinter ihm konnte Jakob eine Frau und einen Mann erkennen. Mit dem zweiten Blick sah das graue Langohr, dass die Frau hochschwanger war. Mit Gesten und Worten zeigte ihr Halter dem erschöpft wirkenden Paar eine Ecke im Stall. Sollten die zwei Menschen auch noch in dieser Enge und Tristesse nächtigen? Der Mann und seine Frau nickten, Ruben hielt seine fleischige Hand auf und daraufhin wurden von dem Paar dreißig Silbermünzen dort hineingelegt. Mit einem zufriedenen Grinsen verabschiedete sich der Gastgeber, drehte sich herum und schloss die Stalltür wieder. Allerdings vermisste Jakob den Ton des betätigten Sperrriegels, der es ihm und Toni unmöglich machten, die Tür mit einem Huftritt zu öffnen.

Nun war der Abend hereingebrochen. Das Paar richtete sich, soweit es ging in seiner Ecke ein. Die Frau setzte sich auf das Stroh, nachdem der Mann eine Decke ausgebreitet hatte. Er gab ihr ein wenig Brot zu essen und er reichte ihr einen Schlauch mit Flüssigkeit aus dem die Schwangere begierig trank. In Jakobs Kopf drehten sich die Zahnräder. Denn eine nicht durch einen Riegel verschlossene Tür bedeute, ein Tritt würde genügen und er und der Ochse wären in Freiheit. Ruben hatte sie nämlich nicht angebunden. Toni sah ihn an und schien dasselbe zu denken. Plötzlich stöhnte die Frau schmerzerfüllt auf und riss die beiden aus ihren Gedanken. Die Schreie der werdenden Mutter hörten nicht auf. Jakob wusste, das Kind würde bald zur Welt kommen!

„Toni?“, rief er seinen Ochsenfreund. Der gab ihm zur Antwort: „Ja Meister Langohr!“ Innerlich lächelte Jakob, denn er mochte es, wenn Toni ihm durch diese Bezeichnung deutlich macht, dass sie beide gute Freunde waren. Der Esel fuhr fort: „Also gut, mein Lieber, wir haben zwei Möglichkeiten: Wir öffnen diese Tür und verschwinden in die Nacht und in die Freiheit oder wir bleiben hier und helfen den beiden. Ich glaube der Frau geht es nicht gut, sie hat große Schmerzen und sie friert. Die Geburt ihres Kindes wird nicht einfach. Wir könnten helfen. Toni blickte seinen Stallgenossen lange an und mit einem Blick auf die Menschen sagte er zu Jakob: „Ich denke, die Antwort ist klar. Wir bleiben hier und helfen den beiden oder besser noch bald den dreien. Übrigens sie haben auch einen Namen, den konnte ich raushören: Sie heißt Maria und ihn nennt sie Joseph.“ Damit war die Sache klar. Beide rückten näher an das Paar heran und wärmten sie. Mit guten Gedanken halfen Ochse und Esel ihnen, dass sie die Geburt meisterten.

Auf einmal war das Kind da: Klein und zerbrechlich lag es auf dem Schoss von Maria. Als Jakob es ansah, wünschte er ihm alles Gute und begrüßte ihn auf dieser Welt. Das Kind schaute auch das graue Eseltier mit klarem Blick an. Dabei trat ein helles Licht aus den Augen des Kindes, das den ganzen Stall erfüllte. Plötzlich meinte Jakob eine Stimme zu hören: „weil ihr Jakob, der Esel und Toni, der Ochse die Geburt des Sohnes Gottes mit Fürsorge und Liebe begleitet habt und darauf verzichtet habt, eure Freiheit zu suchen, sollt ihr belohnt werden: Du Jakob sollst weiterhin bei meinem Sohn bleiben. Mit ihm und seiner Mutter wirst du in das Land Ägypten reisen. Wenn er aufwächst, wirst du bei ihm sein. Er wird den Menschen seiner Zeit durch Worte und Wunder von meiner Freundlichkeit berichten, du sollst ihn dann begleiten und auch wenn er ein letztes Mal nach Jerusalem einzieht, wird er auf deinem Rücken sitzen. Gut soll es die dafür ergehen. Und auch dir dem Ochsen Toni will ich Gunst und Gnade verleihen. Es werden sehr bald Weise aus dem Osten erscheinen. Geh mit ihnen, sie werden gut für dich sorgen!“

Es kam alles so, wie es den beiden gesagt wurde. Nie würden sie diesen besonderen, ja Heiligen Abend vergessen.


P. Albert Seul O.P.